Die Veranstaltung wurde am Abend des 2. Oktober mit den Grußworten von Dr. habil. Orsolya Tamássy-Lénárt, Prorektorin für Lehre und Studierende der AUB, feierlich eröffnet. Im Anschluss richtete Prof. Dr. Jana Osterkamp, Vorsitzende der KGKDS, das Wort an die Teilnehmenden. Sie unterstrich die anhaltende Aktualität der Flüchtlingsfrage und wies auf die zentrale Bedeutung von Migration und Vertreibung im gesellschaftlichen und politischen Kontext hin. Prof. Dr. Ágnes Tóth vom Forschungszentrum für Sozialwissenschaften ging in ihren Ausführungen auf die Herausforderungen der Integration ein und betonte, dass Veranstaltungen wie diese einen wichtigen Beitrag zum Austausch aktueller Forschungsergebnisse und zur Anregung neuer wissenschaftlicher Impulse leisten.
In ihrer Keynote stellte Prof. Dr. Marie-Janine Calic zentrale Thesen ihres Buches vor und eröffnete neue kulturhistorische Perspektiven auf Flucht und Exil im Nationalsozialismus. Sie zeigte, dass Südosteuropa als Zielregion für zahlreiche Exilanten trotz geografischer Nähe, wichtiger Häfen und liberaler Asylpolitik bislang wenig beachtet wurde. Anhand einzelner Schicksale illustrierte sie Fluchtpraxis, Motive und Routen. Sie plädierte dafür, Flucht und Exil stärker europäisch und global einzuordnen und die Rolle Südosteuropas in der Exilforschung auszubauen.
Den Einstieg in die erste Sektion am Freitag (3. Oktober) machte Dóra Frey mit dem Thema „Flüchtlinge, Geflohene, Evakuierte, Vertriebene – Schwierigkeiten der Begriffsbestimmung in Flüchtlingsfragen während und nach dem Zweiten Weltkrieg aus rechtshistorischer Perspektive“. Sie erklärte, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die Begriffsbestimmung von „Flüchtlingen“, „Vertriebenen“ und „Evakuierten“ rechtlich uneinheitlich und politisch aufgeladen war. Über „Jüdische Flüchtlinge in Rumänien von 1938 bis 1944“ sprach anschließend Mariana Hausleitner. Dabei wurde verdeutlicht, dass sich Juden in Rumänien zwischen 1938 und 1944 in einer zunehmend bedrohlichen Lage befanden. Viele blieben trotz der Gefahr im Land, unterstützt von Hilfsorganisationen oder durch Schutzbriefe. Hildrun Glass präsentierte das Thema „Juden in Rumänien 1944 bis 1948: Flüchtlingsströme in Zeiten des außen- wie innenpolitischen Umbruchs“. Sie zeigte, dass es in Rumänien zwischen 1944 und 1948 zu intensiven jüdischen Fluchtbewegungen kam. Die zionistische Organisation Bricha, der Mossad LeAliyah Bet, die Jewish Agency sowie weitere staatliche und nichtstaatliche Akteure koordinierten die Ausreise, vor allem nach Palästina. Laut Glass flohen viele Juden zunächst nach Österreich und Deutschland, da die britischen Einreisebeschränkungen für Palästina ein zentrales Hindernis darstellen.
In der zweiten Sektion leitete Martina Fiamova mit dem Thema „Jüdische Emigration durch Bratislava in den Jahren 1938 bis 1940“ ein. Zwischen 1938 und 1940 emigrierten zahlreiche Juden aus der Slowakei, wobei Bratislava als wichtiger Transitort diente. Die Referentin erklärte, dass die Tschechoslowakei zunächst eine offene Haltung gegenüber Flüchtlingen zeigte, schloss jedoch polnische Juden und Kommunisten aus und wollte eine dauerhafte Niederlassung verhindern. Nach der Autonomieerklärung der Slowakei 1938 und ihrer Unabhängigkeit 1939 verschlechterte sich die Situation der jüdischen Bevölkerung deutlich. Den zweiten Vortrag der zweiten Sektion hielten Michala Jandák Lônčíková und Ines Koeltzsch mit dem Thema „Flucht über die Donau nach Palästina. Digitales Editionsprojekt eines Flüchtlingstagebuchs auf dem Dampfer Pentcho und in Internierungshaft (1940–1943)“. Das digitale Editionsprojekt bei EHRI Online präsentiert das Tagebuch von Vladislav Weiner, einem 19-jährigen jüdischen Flüchtling, der zwischen 1940 und 1944 eine gefährliche Flucht über Donau und Mittelmeer an Bord des Dampfers erlebte.
In der dritten Sektion erörterte zunächst László Orosz das Thema „Der Versuch der SS Ende 1944, das „deutsche Blut“ in Ungarn zu evakuieren“. Ende 1944 versuchte die SS, die deutsche Volksgruppe in Ungarn und Rumänien durch eine Zwangsevakuierung zu sichern. Die Volksdeutsche Mittelstelle (VoMi) organisierte die Umsiedlung. Orosz berichtete darüber, dass das SS-Sonderkommando Südost unter Hans Weibgen die Flucht koordinierte, und trotz massiver Proteste wurde die Zwangsevakuierung durchgesetzt. Michal Schwarz referierte über das Thema „Ihr müsst jetzt Haus und Hof verlassen, um den sowj. Würgegriff zu entgehen. Die deutschen Evakuierten aus dem Südosten und die nationalsozialistische Propaganda 1944/45″. Ende 1944/45 wurden rund 500.000 sogenannte „Volksdeutsche“ aus Südosteuropa evakuiert, um dem Vormarsch der Roten Armee zu entgehen. Die deutsche Gesandtschaft in Budapest dokumentierte Fluchtbewegungen, etwa aus der Zips in der Slowakei.
Die letzte Sektion des Freitags begann mit dem Vortrag von Zoran Janjetovic über Flüchtlinge auf dem jugoslawischen Gebiet von 1941 bis 1945. Er erklärte, dass es in dieser Zeit auf jugoslawischem Gebiet mehrere Flüchtlingswellen gab. Jüdische Flüchtlinge wurden vor dem Krieg in Jugoslawien aufgenommen, bevor sie nach Italien oder Afrika weiterzogen. Aus Kroatien entstanden verschiedene Flüchtlingsströme, sodass es allein auf serbischem Gebiet bis zu 400.000 Flüchtlinge und Vertriebene gab. Die größte Flüchtlingsbewegung erfolgte im Mai 1945, als sowohl Militärs als auch Zivilisten vor dem heranrückenden Front Richtung Österreich flohen. Den vorletzten Vortrag hielt Michael Prosser-Schell zur Frage der „Volksdeutschen Flüchtlinge und Vertriebenen aus Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg: Strategien, Praxen, traditionelle Muster aus der populären religiösen Kultur zur Bewältigung der Notsituation“. Er trug vor, dass nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche „volksdeutsche“ Flüchtlinge aus Jugoslawien flohen. In den westlichen Besatzungszonen pflegten sie ihre Herkunftskulturen weiter. Zur Bewältigung der Notsituation und des Traumas griffen viele auf traditionelle religiöse Muster zurück. In rituellen Volksschauspielen, etwa zu Weihnachten, spiegelten sich kulturelle Identität und religiöse Deutung wider. Den Abschluss der Vorträge am zweiten Tag bildete Ottmar Trașcă mit dem Thema „Die Achsenmächte und die Lage der Minderheiten in Siebenbürgen. Die Untersuchungen der Altenburg-Roggeri, bzw. Hencke-Roggeri Sonderbeauftragtenkommissionen, 1940 bis 1943“. Er gab an, dass sich zwischen 1940 und 1943 die Lage der ethnischen Minderheiten in Siebenbürgen unter dem Einfluss der Achsenmächte deutlich verschärfte, es kam zu wechselseitigen Vertreibungen von Ungarn und Rumänen. Sonderkommissionen wie die von Altenburg und Hencke-Roggeri erhielten den Auftrag, die Situation zu untersuchen. Berichte sprechen von Zwangseinquartierungen, diskriminierender Besteuerung, wirtschaftlicher Benachteiligung und zunehmendem Hass zwischen den Gruppen. Laut Trașcă variierten die Angaben zur Zahl der Flüchtlinge stark. Während ungarische Quellen 5.000 nannten, sprachen rumänische von bis zu 200.000.
Am Samstag, den 4. Oktober fanden die Vorträge der letzten Sektion statt. Zuerst sprach Ágnes Tóth mit dem Titel „Flüchtlinge oder zu Vertreibende? Die Deutschen aus Jugoslawien in Ungarn 1945-1948“ über ein bislang wenig erforschtes Thema der Flüchtlingsfrage nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Referentin erläuterte an Beispiel von einzelnen betroffenen das Schicksal der Donauschwaben, die aus Jugoslawien geflohen sind, Ungarn aber nicht verlassen konnten und deren Unterbringung eine nicht unerhebliche Belastung für die Gemeinden in der Nähe der Südgrenze im damaligen Komitat Bács-Bodrog darstellte. Kristóf Erdős referierte in seinem Vortrag „Integration und Tätigkeit der Flüchtlinge im Kirchenbezirk Donauraum der reformierten Kirche Ungarns (Herbst 1944)“ über die von der calvinistisch-reformierten Kirche getroffenen Maßnahmen für das im kirchlichen Dienst stehende Personal. Veranschaulicht wurde der Vortrag von den überlieferten Dokumenten der Betroffenen und der Kirchenverwaltung. Es wurde dabei hervorgehoben, dass die reformierte Kirche alles unternahm, um die geflüchteten Pfarrer und Lehrer unterzubringen und zu versorgen und für denen auch staatliche Beihilfen bzw. zustehende Bezüge zu organisieren. Den letzten Vortrag des Tages und der Tagung hielt Peter Vukmann gehalten, er sprach mit dem Titel „Bei uns hat sich ein abgekapseltes, verschlossenes, unnatürliches Leben entwickelt.“ Jugoslawische politische Emigranten in Ungarn (1948–1953)“ über die Kommunisten, die in Ungarn Zuflucht gesucht haben, weil sie mit der politischen Linie unter Josip Broz Tito nicht einverstanden waren. Trotz großer Anstrengungen war deren Integration mangels ungarischer Sprachkenntnisse schwierig, auch die Kontaktaufnahme mit den in Ungarn lebenden südslawischen Minderheiten gestaltete sich mühsam, zusätzlich erschwert wurde die Lage der Flüchtlinge durch das Misstrauen der ungarischen politischen Führung der Flüchtlingsgruppe gegenüber.
Abgeschlossen wurde die Tagung mit dem Bericht über das Nachwuchsseminar, wo die Teilnehmer, Studenten und Doktoranden am 2. Oktober unter der Leitung von Zsolt Vitári und Ferenc Eiler mit dem Schicksal der Flüchtigen nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere in Ungarn anhand von vielfältigen Quellen sich auseinandergesetzt haben. Im Anschluss fand eine Abschlussdiskussion statt, wobei betont wurde, dass die Geschichte der unmittelbaren Nachkriegszeit trotz vielen Forschungen in den letzten Jahrzehnten immer noch genug forschungsmaterial bietet und die Fragen, so auch die Frage der Flüchtlinge während und nach dem Krieg im internationalen Kontext zu untersuchen ist – was eine Aufgabe der Zukunft sei.
Miriam WIENPAHL
Lucienne KLIEWER
Dóra FREY
