Die Zukunft Europas entscheidet sich auch im All – Europa und die Geopolitik im Weltraum

Geopolitischer Wettlauf im All – Botschafter a.D. Dr. Heinrich Kreft berichtet zu jüngsten technischen Möglichkeiten,

Woran denken Sie, wenn der Begriff „Weltraum“ fällt? Dem einen fallen unendliche Weiten ein. Eine andere denkt an den kleinen Schritt für einen Menschen, aber einen großen für die Menschheit. Und seit dem 25. September kommt Interessierten möglicherweise auch die Zahl 35 Milliarden Euro in den Sinn: Soviel nämlich möchte das deutsche Verteidigungsministerium unter Boris Pistorius in den kommenden Jahren aufwenden, um Deutschlands Sicherheit im All zu verbessern. Das versprach der Bundesminister auf dem kürzlichen Weltraumkongress des Bundesverbandes der Deutschen Industrie vor Vertreter*innen aus Wirtschaft, Politik und Forschung, an dem auch Botschafter a.D. Dr. Heinrich Kreft teilnahm. Aktuell forscht Kreft zu der Rolle Europas in der Geopolitik des Weltraums, in Kürze will er einen Sammelband zu diesem Thema herausgeben. Seine breite Expertise bringt Kreft auch an der Andrássy Universität ein, der er nunmehr als Lehrbeauftragter für Weltraumdiplomatie am Lehrstuhl für Diplomatie II besonders verbunden ist. Von 2020 bis 2024 war er dessen Leiter, zuvor hatte er als Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Luxemburg gedient. Auf Einladung seines Nachfolgers an der AUB, Botschafter Dr. Robert Klinke, berichtete Kreft am Abend des 01. Oktober 2025 im Rahmen der Gesprächsreihe „Querschnittsfragen der Außenpolitik“ vor vielen bekannten Gesichtern über seine aktuellen Forschungen und frische Eindrücke von dem Weltraumkongress.

Deutschlands neue Priorisierung seiner Weltraumaktivitäten spiegelt einen Trend wider, auf den nicht nur die bekannten Weltraumnationen deuten: Der Wettbewerb um Sicherheit, Ressourcen und Kommunikation im All wird immer größer und wichtiger. Zuletzt betrieben weltweit nicht weniger als 91 Staaten ein eigenes Weltraumprogramm. Allein im Jahr 2023 gab es 212 Starts ins All, wodurch ein globaler Umsatz von 339 Milliarden Euro erzielt wurde. Besonders bedeutsam sind sowohl bei staatlichen als auch privatwirtschaftlichen Ausgaben die Vereinigten Staaten mit einem jeweiligen Investitionsanteil von über 60%. Aber auch China baut seine Weltraumaktivitäten strategisch aus, landete 2019 und nochmals 2024 bereits auf der Rückseite des Mondes – wegen der eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten auf der der Erde abgewandten Seite ein technisch besonders herausforderndes Unterfangen. Und auch Indien gelang vor zwei Jahren mit seinem überaus kostengünstigen Weltraumprogramm die Landung auf dem bisher wenig erforschten Südpol des Erdtrabanten.
Auf dem europäischen Kontinent bündeln neben Deutschland, Frankreich und Italien noch 20 weitere Staaten ihre Weltraumaktivitäten im Rahmen der Europäischen Weltraumagentur ESA. In Summe haben sie damit einen Anteil an der globalen Weltraumwirtschaft von 17%. Aktuelle Projekte sind beispielsweise das Galileo-Programm, das Unabhängigkeit vom amerikanischen GPS-System ermöglicht und eine deutlich präzisere Ortung und Navigation bietet. Auch das aktuelle IRIS2-Projekt trägt zur Autonomie Europas bei. Es soll in naher Zukunft ein sicheres und widerstandsfähiges Satellitennetzwerk zur Kommunikation durch mehrere hundert miteinander vernetzte Satelliten erzeugen.

Bei näherer Betrachtung zeigen diese zwei Beispiele allerdings das Problem der europäischen Staaten auf diesem Gebiet: Zwar sind die technischen Möglichkeiten durchaus konkurrenzfähig, allerdings zielen sie auf die Verringerung einer Abhängigkeit ab, die in den vergangenen Jahren immer größer wurde. Deutlich wird dies besonders beim Transport neuer Satelliten in die Erdumlaufbahnen: Zwar verfügt die ESA mit der Ariane 6 über eine eigene Trägerrakete, jedoch ist diese der Falcon 9 von Elon Musks Unternehmen SpaceX in Kosteneffizienz, Wiederverwendbarkeit und Häufigkeit der Starts deutlich unterlegen. Allein beim Start einer Falcon 9 können bis zu 10 Satelliten transportiert werden, die in den verschieden hohen Orbits nacheinander freigesetzt werden. Deshalb nutzt die ESA vorübergehend auch die Raketen von Musk, was ihre Abhängigkeit von privatwirtschaftlichen Konzernen erheblich erhöht.

In dieser Hinsicht ist die amerikanische Weltraumwirtschaft einen Schritt weiter. Sie bindet privatwirtschaftliches Engagements bei staatlichen Aktivitäten der NASA mit ein, während die ESA in ihrer stärker staatlich geprägten Raumfahrtkultur vor anderen Herausforderungen steht: Durch die nationalen Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten der ESA werden Entscheidungen deutlich langsamer und bürokratischer getroffen. Die Lösung für Europa ist bereits aus vielen EU-Politikbereichen bekannt: deutlich höhere Investitionen und rascher Abbau allzu bürokratischer Strukturen.
Darüber hinaus ist eine stärkere Förderung von Startups und Innovation notwendig, um die europäische Forschung, die große Fähigkeiten in sich vereint, weiter zu stärken. Schließlich kann Europa als Normsetzer in Weltraumfragen voranschreiten: Im Juni 2025 legte die EU-Kommission den Entwurf eines European Space Act vor, um nationales Recht in diesem Bereich zu harmonisieren. Europa muss jedoch auch seine Investitionen in die Raumfahrt erheblich steigern, um zu den Big Playern im All aufzuschließen. Damit und einer klaren Weltraum-Vision kann der alte Kontinent dank seiner vorhandenen Innovationskraft auch außerhalb der Erde eine führende Rolle spielen.

Joel KELLER

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